Cruce – Libro – Aratro
Benedikt von Nursia - Patron Europas
1964 24. Oktober 2014
Die Erinnerung des jungen Rom-Studenten
Es war ein stürmisch-peitschender Regentag, dieser 24. Oktober 1964, das absolute Gegenteil vom Traum eines sonnigen Italien. Das Wetter brachte den strengen Zeitplan vollkommen durcheinander. Die Busse mit uns Studenten von S. Anselmo schafften es zwar, einigermaßen in der Zeit nach Montecassino zu kommen, denn wir waren ja doch nur Gäste „ferner liefen“ und sehr zeitig aufgebrochen. Papst Paul VI. aber kam mehr als eine Stunde nach der „Protokoll-Zeit“. Sein Hubschrauber – so hieß es – bekam wetterbedingt keine Starterlaubnis. Und als er schließlich – „per pedes automobiles“ – eintraf, mussten ihn und das Willkommensgremium eine Unzahl von (natürlich schwarzen) Regenschirmen vor dem überreichen Wettersegen schützen.
Die Abteikirche war gedrängt voll. Alle Sitzplätze waren von Bischöfen besetzt, denen das Wetter den konzilsfreien Sonntagsausflug mit Ausflügen und Spaziergängen in den Castelli Romani wohl vergällt hatte. Montecassino war da eine willkommene Alternative. Mit Müh und Not und unter Führung eines älteren Rom-erfahrenen Semesters fand der Studienneuling einen engen Stehplatz im Kirchgedränge. Nicht wenige mussten draußen bleiben.
Die Feier der Kirchweihe
Montecassino, 1964-10-24
Papst Paul VI., Erzbischof Enrico Dante (Zeremoniar), Erzabt Ildefonso Rea von Montecassino
(Foto: der "jung-römische Studiosus)
Die monatelangen Kämpfe der Schlacht um Montecassino im zweiten Weltkrieg (Januar-Mai 1944) erreichten - für uns Benediktiner - am 15. Februar 1944 mit der Bombardierung und Zerstörung der Benediktinerabtei ihren Höhepunkt. Am Wiederaufbau der Abtei – sicut erat ubi erat / wie sie war, wo sie war – beteiligten sich alle ehemaligen Gegner. Die Weihe der Kirche durch den Papst war nicht einfach eine Reverenz gegenüber Benedikt und seinem Orden oder gegenüber einem italienischen Monumento nazionale, sondern eine politische Botschaft gegen den Krieg und an das zusammenwachsende Europa.
Die Weihe der Abteikirche im Jahr 1964 zog sich über zwei Tage hin. Am 23. Oktober hatten etliche Bischöfe je einen der Nebenaltäre geweiht, am nachfolgenden Tag. salbten Kardinäle – oder waren es „nur“ Bischöfe? – die zwölf Apostelkreuze in der Kirche und Papst Paul VI. den Hochaltar. Außer der Enge und dem Gedränge sind mir von der Feier eigentlich nur die hohen steilen Treppenkonstruktionen zu den Kreuzen in der Erinnerung haften geblieben, … und wie sich die alten Herren Kardinäle in vollem liturgischem Ornat hinaufmühten.
Die Messe war – natürlich – in Latein und im „vorkonziliaren“ Messritus, - die Liturgiereform gab es ja noch nicht. Von der Predigt habe ich nichts verstanden. Meine Italienischkenntnisse waren nach zwei Wochen Rom noch gleich „null“.
Die päpstlich lange Predigt[1] akzentuierte Benedikt als einen Mann des Friedens. Als Wurzel des Friedens erkennt Paul VI. „den Durst nach einem wirklich personalen (geistlichen) Leben“. Diese Sehnsucht schenkt dem monastischen Ideal auch heute seine Aktualität. Paul VI. zitiert Papst Gregors d.Gr. Vita des hl. Benedikt, dass der Heilige die „Klausur des Stille – il silenzio del chiostro“ suchte und „in superni Spectatoris oculis habitavit secum – unter dem Blick des Höchsten in sich zu Hause war“.
Während zu Benedikts Zeit der Zusammenbruch der sozialen Zusammenhänge ein Anstoß für den klösterlichen Weg war, herrsche heute ein verwirrendes Zuviel: „Reizüberflutung, Lärm, Hektik, Äußerlichkeit, Vielfalt bedrohen den inneren Menschen. Ihm fehlt die Stille für die innere Stimme. Ihm fehlt die Ordnung, das Gebet, der Friede; ihm fehlt die Personstärke (gli manca se stesso). Um neu die Herrschaft und die Freude in sich zu gewinnen, muss er sich wieder der benediktinischen Klausur (Idee) annähern.“
Darum – so schließt Paul VI seine Predigt. – und um allen die an der geistigen Einheit Europas arbeiten und sich nach ihr sehnen, einen Beistand „von oben“ zu geben, „abbiamo voluto proclamare San Benedetto Patrono e protettore dell’Europa - haben wir beschlossen, den hl. Benedikt zum Schutzpatron Europas zu erheben.“
Die Litterae Apostolicae „Pacis Nuntius“
Das Original-Dokument
Vom 24. Oktober 1964 firmiert auch das Dokument der Proklamation des Patrons Europas „Pacis Nuntius“[2] Das Eingangswort des Apostolischen Schreibens zeigt die Zielrichtung der Proklamation. Auf dem Schlachtfeld von 1944 ruft Paul VI. die Völker Europas zu einer Zukunft des Friedens auf.
“Künder des Friedens, Gestalter der Einheit, Lehrer weltlicher Kultur, besonders aber Herold der christlichen Religion und Begründer des monastischen Lebens im Abendland wird der hl. Abt Benedikt zu Recht genannt. Als einige Gegenden Europas in Dunkelheit abzustürzen schienen, da das Römische Reich alterssiech versank, andere dagegen noch die Erfahrung größerer Humanität und geistiger Güter machten, hat er es mit der starken Kraft seiner ausdauernden Tugend vermocht, dass diesem Kontinent gleichsam eine neue Morgenröte aufleuchtete. Cruce, libro, aratro – Durch Kreuz, Buch und Pflug haben er und seine Söhne den Völkern vom Mittelmeer bis nach Skandinavien, von Irland bis nach Polen christlich geprägte Kultur gebracht. Die Litterae Apostolicae erläutern dann jeweils kurz die markante Kurzformel „Cruce, libro, aratro – Kreuz, Buch, Pflug.“
Crux übersetzt das Schreiben mit „das Gesetz Jesu Christi – lex Jesu Christi“, was wir vielleicht am besten als „Evangelium“ oder allgemeiner als „Heilige Schrift“ oder „Gottes Botschaft“ wiedergeben sollten. In diesem Zusammenhang erwähnt das Dokument „auch – quoque“ das Opus Dei in seiner klaren Ordnung und seinem gleichbleibenden Rhythmus[3]. Diese Christus-Mitte ist die prägende Kraft jener geistigen Einheit, „in der sich die Nationen, so verschieden ihre Sprache, ihre Herkunft, ihre Mentalität waren, als das eine Volk Gottes fühlten. Diese Einheit ist das herausragende Merkmal des Mittelalters.“
Liber interpretiert das Apostolische Schreiben als „Geistesarbeit / Wissenschaft – ingenii cultus“. Erläuternd werden die Skriptorien erwähnt, die mit ihrer Arbeit alte Texte vor dem Vergessen bewahrten und für ein vertiefendes Studium bereit stellten.-
Aratrum schließlich ist für Paul VI. die „res rustica – die Landwirtschaft“, wobei er ihre Bereichsenge sogleich durch den Zusatz „aliaque subsidia – und andere Disziplinen“ erweitert. Mit dem „Pflug und anderem“ hat Benedikt „weite und schreckeinflößende Gegenden in fruchtbare Äcker und reizvolle Gärten verwandelt …“
An dieser Stelle „flickt“ das Dokument das von mir irgendwie schon lange erwartete vermeintlich benediktinische „ora et labora“ ein.: „… und indem er die Handarbeit mit dem Gebet – entsprechend dem Wort ‚ora et labora’ – verknüpft, gibt er dem Wirken des Menschen hohe Würde. - et precationibus fabrilia iungens, secundum verba illa «ora et labora», humano operi excellentiam addidit“. Abgesehen von der Frage nach dem tatsächlichen Ursprung des schein-benediktinischen „ora et labora“ stellt sich mir die Frage nach dem eigenständigen christlichen Wert der Arbeit (… unabhängig von einem rahmenden Gebet) und die zweite, warum eigentlich das opus humanum eigentlich immer nur die fabrilia, d.h. das hand-werkliche Tun in den Blick nimmt.
Ein Eingeständnis
Ich gestehe, ich habe jetzt, nach 50 Jahren, zum ersten Mal die Predigt von Montecassino und das Schreiben Pacis Nuntius gelesen. Bisher hatte das „kurze“ Wissen, dass Benedikt 1964 zum Patron Europas erklärt wurde, gereicht. Vielleicht ist es ein wenig Rentner-Nostalgie, die die alte Erinnerung aufhübschen wollte, die mich nach den Texten greifen ließ. Es war durchaus ein Gewinn, das zu tun, … und das kuriale Italienisch und Latein gaben dem Mühen noch einen besonderen „Kick“. Haften bleibt mir sicher die inhaltlich und sprachlich gekonnte Formel, mit der Benedikts Bedeutung für das europäische Mittelalter gezeichnet wird: „cruce, libro, aratro – durch Kreuz, Buch und Pflug.“
Grablege Pauls VI. in S. Peter, Rom
Albert Altenähr
2014-10-21
[1] http://www.vatican.va/holy_father/paul_vi/homilies/1964/documents/hf_p-vi_hom_19641024_montecassino_it.html
[2] http://www.vatican.va/holy_father/paul_vi/apost_letters/documents/hf_p-vi_apl_19641024_pacis-nuntius_it.html
[3] Das „auch“ an dieser Stelle scheint mir insofern als beachtenswert, als es das Opus Dei aus seiner Stilisierung als das isolierbar Kerneigentliche des Benediktinertums befreit. Benedikt ist nicht Opus-Dei-engstirnig. Das Opus Dei ist eingebettet in Benedikts Christus-Weite.