Zu Johannesevangelium 20,11-18
Die Berufung der Maria von Magdala
Das Johannesevangelium schildert die Begegnung zwischen dem Auferstandenen und Maria von Magdala (20, 11-18) auffallend ähnlich gestaltet wie die Berufung der ersten Jünger (1, 35-42). Beide Male verwendet es die Worte umwenden (1, 38; 20, 14.16), suchen (1, 38; 20, 15) und die Anrede Rabbi mit der erläuternden Übersetzung Lehrer (1, 38; 20, 16). Das Thema bleiben spielt eine wesentliche Rolle. Die Jünger, die Jesus nach einem Hinweis des Täufers folgen, fragen: „Wo bleibst du?“ Sie dürfen eine begrenzte Zeit bei ihm bleiben (1, 38f). Maria sucht Jesus dort, wo er seine letzte irdische Bleibe gefunden hat. Im Gegensatz zu den beiden Jüngern, die auf ihren Hinweis hin zum Grab gekommen waren, bleibt Maria dort. Nach der Begegnung verwehrt Jesus es ihr, ihn festzuhalten und bei ihm zu bleiben (20, 17). Am Ende der Erzählungen wird die Erfahrung mit Jesus einem Bruder bzw. den Brüdern mitgeteilt (1, 41; 20, 18).
Die Ähnlichkeiten lassen die Akzente besonders deutlich werden, die durch Nuancen in den Formulierungen gesetzt werden. Die zentrale Frage Jesu im ersten Kapitel lautet „Was sucht ihr?“ (V 38). Aus dem, was Andreas seinem Bruder Simon von der Begegnung mit Jesus erzählt, ergibt sich die Antwort: Sie suchen den Messias. Ihn wollen sie sich zu ihrem Lehrer erwählen. Mit dem Titel Messias sind unterschiedliche Vorstellungen verbunden, denen Jesus nicht unbedingt gerecht werden will, etwa ein König, der sein Volk allezeit mit Brot versorgt (6, 15). Er ist nicht gekommen, um zu herrschen, sondern gibt ein Beispiel des Dienens (13, 12-15) und hat keine Ehrenplätze zu seiner Rechten oder Linken zu vergeben (Mk 10, 40; Mt 20, 23).
Begegnung
Maria stand unter dem Kreuz (19, 25) und sah mit Jesus auch ihre Hoffnung sterben, die sie auf ihn gesetzt hatte. Indem sie ihn am Grab sucht, hält sie an der Beziehung zu ihm fest. Sie bleibt offen dafür, dass er sich ihr als Auferstandener neu zeigt. Bei der Berufung der ersten Jünger wendet sich Jesus zu den beiden um, die ihm folgen (Joh 1, 38). Maria, wendet sich zweimal um, bis sie Jesus tatsächlich erkennt. Zuerst wendet sie sich vom Grab weg. Da sie Jesus als Toten sucht, ordnet sie ihn zunächst in diese Vorstellung ein und hält den Auferstandenen für den Gärtner. Er fragt Maria: „Wen suchst du?“ Aus der Situation heraus könnte er sich die Antwort selbst geben. Es wirkt wie eine therapeutische Frage. Damit führt er sie schon von dem Gedanken an den Leichnam weg hin zu seiner Person. Sie sucht nicht etwas, sondern ihn. Jesus spricht sie mit ihrem Namen an. Indem er deutlich macht, dass er sie mit Namen kennt, gibt er sich ihr zu erkennen. Nun heißt es, sie wende sich noch einmal um. Sie hatte sich bereits der Person hinter ihr zugewandt. Jetzt öffnet sie sich dafür, dass der Gekreuzigte ihr neu als Lebendiger begegnet (20, 14‑16).
Würde Maria den Auferstandenen auch mit seinem Namen anreden, hätten wir die Liebesgeschichte vor uns, die manch einer heute in dieser Erzählung sehen möchte. Sie antwortet Rabbuni, mein Lehrer (20, 16). Dies ist eine durchaus zärtliche Anrede, wahrt aber auch Distanz. Der Auferstandene hat sie behutsam dahin geführt, die Beziehung zu ihm in einer für sie völlig unerwarteten Weise wieder aufzunehmen. Nachdem sie alles verloren geglaubt hatte, will sie ihn nun festhalten. Doch er verwehrt es ihr und sendet Sie mit einer Botschaft zu seinen Brüdern (20, 17).
Die Bezeichnung der Jünger als Brüder Jesu wird im Johannesevangelium nur an dieser Stelle verwandt. Der Auferstandene stiftet eine neue Familie. Sie sprengt die natürlichen Familienbande, die im ersten Kapitel eigens betont werden. Nach der Begegnung mit Jesus heißt es dort, Andreas finde zuerst den eigenen Bruder Simon (1, 41). Die Botschaft des Auferstandenen spricht feierlich von meinem Vater und euerem Vater, meinem Gott und euerem Gott (20, 17). Dies erinnert an ein Wort der Rut zu ihrer Schwiegermutter: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott“ (Rut 1, 16). Als Fremde ist Rut aufgenommen in das Volk, das sich auf den gemeinsamen Vater Abraham zurückführt. Hier lässt der Auferstandene durch Maria verkünden, die Entfremdung der Seinen sei aufgehoben. Er eröffnet ihnen die Gemeinschaft mit seinem Gott und Vater. Das Volk gründet nicht mehr in der leiblichen Abstammung von Abraham. Es ist erweitert zu dem Volk, das Gott zum Stammvater hat. Der Auferstandene nennt keine Bedingung für die Zugehörigkeit zu diesem Volk. Sie ist sein Geschenk. Er lässt den Seinen verkünden, er steige hinauf zu seinem Vater und zu ihrem Vater (Joh 20, 17). Bereits vor seinem Tod hat er ihnen angekündigt, dass er ihnen dort einen Platz bereiten will (14, 3). In diesem Zusammenhang hat er sich selbst als den Weg dorthin bezeichnet und die Jünger aufgefordert: „Glaubt an Gott, und glaubt an mich!“ (14, 1.6).
Zeugnis
Obwohl Maria von Jesus beauftragt ist, seinen Jüngern diese Botschaft auszurichten, bezeugt sie zuerst: „Ich habe den Herrn gesehen“ (20, 18). Im griechischen Text ist das Wort ich nicht eigens betont, das im Deutschen am Anfang steht. Es geht wesentlich darum, dass sich ihr der Herr von sich aus zu sehen gegeben hat und sie sich nicht selbst, sondern ihn verkündet. Dies kommt den Berufungs-erzählungen der Propheten nahe, mit denen sie ihren Auftrag von Gott her betonen (vgl. etwa Jes 6, 5). Maria weist sich vor den Jüngern aus als vom Herrn gesandt. Sie verwendet in diesem ganzen Abschnitt des Evangeliums nur die Bezeichnung Herr für Jesus. Den Engeln sagt sie: „Sie haben meinen Herrn weggenommen“ (Joh 20, 13). Den vermeintlichen Gärtner redet sie mit Herr an (20, 15). Hier nun steht: der Herr. In der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel steht dieses Wort an Stelle des Gottesnamens Jahwe. Maria bezeugt den Jüngern, dass sich ihr im Auferstandenen Gott zu sehen gegeben hat. Wie das Benediktus von Johannes dem Täufer sagt, geht auch sie dem Herrn voran, um ihm den Weg zu bereiten (vgl. Lk 1, 76), seinen Jüngern neu zu begegnen. Johannes der Täufer machte seine Jünger aufmerksam: „Seht, das Lamm Gottes!“ (Joh 1, 36). Sie bezeugt, der Gekreuzigte lebt und ist der Herr. Sie die erste Zeugin dafür, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist. Sie nimmt gläubig an, dass er Gott ist. Mehrere Kirchenväter bezeichnen sie wegen dieses Zeugnisses mit dem Ehrennamen Apostolin der Apostel.
Nach der ersten Begegnung mit Jesus sagte Andreas seinem Bruder, er habe den Messias gefunden (1, 41). Da Maria den Leichnam Jesu gesucht hat, könnte die Erzählung mit der Feststellung enden, sie habe Jesus als Lebenden gefunden. Dies macht die Wortwahl gesehen besonders auffällig. Sie spricht von einem einmaligen Ereignis, das sich nicht festhalten lässt. Jesus hat sich Maria als der Herr offenbart, sich ihr aber auch wieder entzogen. Sie hat ihn nicht ein für allemal gefunden. Die Geschichte des Auferstandenen mit den Seinen bleibt offen. Es schließen sich gleich drei weitere Erzählungen an, in der sich der Herr sehen lässt.
Als Antwort auf die Frage des Auferstandenen an Maria Magdalena, wen sie suche, ergibt sich: Ich suche dich, meinen Gott. Die überraschende Begegnung, die der Auferstandene Maria zuteil werden lässt, verdeutlicht, eine personale Beziehung lässt sich nicht festschreiben. Sie kommt nicht ohne ein Vorverständnis aus, wie es die ersten Jünger vom Messias hatten. Wichtig ist, offen zu bleiben für je neue noch unbekannte Züge, die er an sich zu erkennen gibt. Es gilt, offen für die Begegnungen, die er schenken will, Gott wirklich zu suchen (vgl. RB 58, 7).
Heute begegnet der Auferstandene vor allem im Zeugnis der Schrift. So sehr wir die Schrift studiert haben mögen, wenn er jemanden durch ein Wort im Herzen anspricht, bleibt dies ebenso überraschend wie die Begegnung für Maria am Ostermorgen. Das Kreuz erwies sich als Tor zu neuem Leben in der Herrlichkeit des Vaters. Auch uns ist dort ein Platz bereitet (Joh 14, 3). Dort werden wir Anteil an dieser Herrlichkeit haben (17, 24). Nachfolge Christi bedeutet, sich vom Auferstandenen in eine personale Beziehung zu ihm rufen zu lassen und ihm durch das Kreuz hindurch in seine Herrlichkeit zu folgen (vgl. RB Prol 7.50).
Oliver J. Kaftan OSB
2009-09-17
Bilder: Ikone: Der Auferstandene begegnet Maria Magdena; Psalter von St. Alban: Apostolin der Apostel
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