Als Mönch vor der Enzyklika Papst Benedikts XVI.
Deus caritas est
„Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm’’ (1 Joh 4, 16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief ist die Mitte der monastischen Suche, das monastische Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Mönches und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen. Außerdem gibt uns Johannes in demselben Vers auch sozusagen eine Formel der klösterlichen Existenz: ,,Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt’’ (vgl. 4, 16).
Wir haben der Liebe geglaubt: So kann der Mönch den Grundentscheid seines Lebens ausdrücken. Am Anfang des Mönchseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt. In seinem Evangelium hatte Johannes dieses Ereignis mit den folgenden Worten ausgedrückt: ,,So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt ... das ewige Leben hat’’ (3, 16).
Der gerade wiedergegebene Text ist die leichte Variation der beiden ersten Passagen der in diesen Tagen veröffentlichten Enzyklika Papst Benedikts XVI. „Deus caritas est.“ Die Variation ist der Übersetzungsversuch aus der allgemein christlichen Ansage in mein klösterliches Selbstverständnis. Sie folgt dem charmanten Bonmot von Karl Kraus: „In dem Verb ‚übersetzen’ verbirgt sich der Imperativ ‚üb ersetzen’.“ Ersetzt habe ich die „christlichen“ Worte durch „klösterliche“: Aus dem „christlichen Glauben“ wurde so die „monastische Suche, - aus dem „Christen“ der „Mönch“ usw.
Was ist mir in dieser klösterlichen Zuspitzung der Eingangsverse der Enzyklika wichtig?
Der Papst spricht von einer „Formel der christlichen Existenz“. Er deutet damit an, dass es immer wieder wichtig ist, in dem bunten Vielerlei das eine Wesentliche zu entdecken und sich von ihm her neu zu entfalten. Er spricht von einer „Formel“. Wir kennen aus der Theologie den Begriff von der „Kurzformel des Glaubens“. Wir können es auch den „Punkt“ nennen, auf den es ankommt und auf den wir unsere so ins Weite hinein ausgefächerte Glaubenslehre – oder eben auch die benediktinische Lehre vom Mönchsein – bringen können und immer wieder bringen sollten. Dieser Punkt ist es, der davor bewahrt, sich im Mahlwerk des Alltags, seiner Allzumenschlichkeiten und vor allem des eigen Ich aufzureiben und zerreiben zu lassen. Was ist also die Mitte der klösterlichen Existenz und die Formel der klösterlichen Existenz?
Benedikt XVI. lässt mich im zweiten Absatz seiner Enzyklika an den Eingang von Psalm 1 denken:
Selig der Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht.
Mit einem dreifachen „Nein“ hebt der Psalm – und damit der ganze Psalter! – an: „…der nicht, … der nicht, … der nicht“. Es gilt, eine Wahl zu treffen. Das heißt immer auch, Entscheidungen zu treffen und von diesem und jenem Abschied zu nehmen. Das ist nicht unbedingt ein Schlecht-Machen dessen, wovon man Abschied nimmt. Es ist viel mehr der Versuch, das Eine, worauf es mir ankommt, klarer herauszuarbeiten und es auf den Leuchter zu stellen, damit es mir Licht im Grau und Dunkel des Lebens werde. Für den Psalm, den ganzen Psalter, den jüdischen Gläubigen und den Mönch aller Zeiten ist es die Freude an der Weisung des Herrn.
Die Enzyklika spricht genau wie Psalm 1 von einem mehrfachen „Nein“, aus dem dann ein großes „Ja“ wächst. „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee.“ So wenig der Christ und auch der Mönch die Ethik und auch die großartige Idee vernachlässigen wollen, so wenig sind sie der Anfang und die Mitte seiner Berufung. Der entscheidende Mittepunkt ist ein Ereignis und eine Person. Wenn ich sie an mich heranlasse, dann geschieht etwas an, mit und in mir. Von der Pfingstpredigt des Petrus hören wir in der Apostelgeschichte, dass sie seine Zuhörer „mitten ins Herz“ traf und sie ihn fragten: „Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37)
Gott selbst ist die Person, - seine Tat der Fleischwerdung des ewigen Wortes und der Lebens-, Leidens-, Todes- und Auferstehungsgeschichte ist das Ereignis und beide sind zusammengefasst in dem Wort von der Liebe. „Liebe“ ist dabei nicht der theoretische Überbau über die Person Gott und das Ereignis Jesus Christus. Gott ist Liebe, - Jesus Christus ist Liebe. Das ist packende Botschaft, die Horizonte öffnet und die Perspektive der Ewigkeit verleiht und darin dem Menschenleben eine Richtung weist. Von dieser Liebe, die Gott und Jesus Christus ist, fällt Glanz und Sehnsucht auf alles menschliche Lieben.
Wenn Gott / Jesus Christus die Liebe ist, dann ist die Hinwendung zu ihm, - dann ist christliches und aus ihm noch einmal herausbuchstabiert klösterliches Leben Hinwendung zur Liebe. … oder vielleicht noch richtiger gesagt: Öffnung für das Geliebtwerden von Gott und Jesus Christus. Es ist der Glaube, dass ich geliebt werde – mag kommen und sein, was will. „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“ fragt Paulus im Römerbrief (Röm 8,35). Und indem er es rhetorisch fragt, gibt er die Antwort: „... Nichts!“
Dieser Botschaft glaubt der Mönch. Ihr traut er so sehr, dass er sich ganz an sie und in sie hinein verliert, um dadurch alles zu gewinnen. Der Geliebte wird ein Liebender werden. Wer so gewonnen hat, der ist gewinnend.
„Das ist zwar alles sehr mutig, aber doch auch fürchterlich naiv“, sagt der Skeptiker. „Die Welt und … vielleicht ein bisschen Gott, reicht das nicht zum Leben?“
„Ich weiß, ich kann dich nicht mit Argumenten davon überzeugen, dass die Botschaft trägt,“ gesteht der Mönch, der es geworden ist und mehr und mehr werden will, „aber sieh doch: ich schwimme wie ein Fisch im Wasser. Es trägt. Willst nicht auch du schwimmen lernen und das Wasser genießen?“
Abt Albert Altenähr OSB
2006-01-27
Bild: Christus-Ikone, Moskauer Schule (Ende 18./ Beginn 19. Jhd.)