Elija – die Kraft des Weges
Es ist nur 2,5 x 2 cm groß, - das Email-Bild des Elija unter dem Ginster auf dem Griff-Knoten eines unserer Kelche.
Die biblische Szene ist vielleicht vertraut, möglicherweise aber auch nicht (1 Könige 19). Elija, der Prophet eines klaren Jahwe-Glaubens, ist vor der Königin Isebel geflohen, die andere Kulttraditionen nach Israel eingeführt hatte. In der Wüste wirft er sich unter einen Strauch und will sterben. Ein Engel rührt ihn an: „Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich.“ Und in der Kraft dieser Speise geht Elija 40 Tage und Nächte bis zum Berg der Gottesbegegnung.
Wie hat der Goldschmied die biblische Szene in seine Email-Miniatur übersetzt?
Natürlich gehören der Prophet, der Engel und der Strauch zum notwendigen Repertoir, um die Szene zu identifizieren. An dieser Auswahl der Bildelemente ist nichts Verwunderliches.
Aber geben wir uns in Beobachtung und Assoziation in das Wie der Übersetzung hinein. Der Prophet hat sich nicht in Verzweiflung in sich selbst hineingewühlt und hineinverknotet. Er liegt eher wie ein Erschöpfter auf einer Liege. Der Kopf wird gestützt durch die Wurzel des Strauchbaumes. Sein Arm liegt gerade neben seinem Körper. Die Unterschenkel hängen über der Bettkante herunter. Er liegt müde und erschöpft da – wie ein Wanderer, der sich nach langem Weg ein wenig ausruhen will, oder wie ein Kranker auf seinem Bett.
Über dem Propheten erhebt sich der Strauch, der eigentlich mehr ein Baum ist. Gerade wächst sein Stamm aus dem Wurzelfuß. Klar verzweigt er sich in drei Äste. Auch sie wachsen schnörkellos gerade. Dreimal vier Blätter deuten die Schatten spendende Kraft an, die Elija wohl zu dem Strauch geführt hat. Nahezu rund sind die Blätter. Die drei Äste und der eine Stamm können unsere Gedanken auf den dreifaltig-einen Gott lenken, - die zwölf Blätter auf die Apostel, - ihre runde Form auf die Hostien unserer Liturgie. Vielleicht ist gerade die letzte Assoziation sogar bewusst gewollt, - fehlt doch ansonsten das Bildelement des Brotes, von dem der Prophet essen soll.
Hinter dem Propheten steht groß und erhaben der Engel der biblischen Erzählung. Seine Flügel sind wie ein geöffnetes Tor des Jenseits, aus dem der Bote Gottes herausgetreten ist. Wie der barmherzige Samariter des Evangeliums (Lukas 10) oder wie ein Arzt steht er über dem Erschöpften, um ihm aus dem großen Gefäß in seinen Händen zu trinken zu geben. Der Engel hatte nur vom Essen gesprochen, - in unserem Email-Bild reicht er ihm nur zu trinken. In der biblischen Erzählung sieht Elija neben sich Brot und einen Krug Wasser. Er isst und trinkt.
Die ganze Szene lässt mich über die Elija-Geschichte hinaus denken. Aus dem Neuen Testament fällt mir die Erzählung von der Berufung des Nathanael ein: „Schon bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen“ (Johannes 1). … Und dann ist da im Alten Testament noch der Prophet Jona, der sich über den Rizinusstrauch, der ihn vor der Sonne schützte, freute und dann mit Gott haderte, als der ihn verdorren ließ (Jona 4). … Aber das sind eigene Geschichten, die hier nur andeutend bereichernd erwähnt sein sollen.
Der Kelch ist einem Mitbruder zu seinem 25. Priesterjubiläum geschenkt worden. Das ist ein Jubiläum, bei dem man zurückschaut und dabei sicher auch auf manche Erfahrung, die belastend war und vor der man vielleicht weggelaufen und unter den Ginster geflüchtet ist. Normalerweise denkt man dabei wohl auch in die Jahrzehnte voraus, die man noch wirken möchte. Auf einem Messkelch an diesem Tag das Bild zu lesen: „Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich“, das spricht für sich.
Konkret war unser Mitbruder damals schon von der Krankheit gezeichnet, die einige Jahre später zu seinem frühen Tod führte. Vor dem Hintergrund dieses Wissens gewinnt die Botschaft des Elija auf dem Kelch noch ein ganz persönlich gefärbtes Gewicht: „Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich.“
Abt Albert Altenähr OSB
2006-04-05