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Benedikt von Aniane. Eine Spurensuche

Landestreffen NRW der AKThB, 7. Mai 2014, Abtei Kornelimünster

 

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Im Kontext des 1200-Jahr-Jubiläums der Gründung des Klosters Kornelimünster hat unser Bibliothekar, P. Oliver, die Landesgruppe NRW der Arbeitsgemeinschaft katholisch-theologischer Bibliotheken (AKThB) zu ihrem Jahrestreffen in die Abtei eingeladen. Wir haben uns besonders gefreut, unter den 24 Teilnehmern Mitbrüder und Schwestern aus den Klöstern Gerleve, Meschede, Mariendonk, Köln Raderberg und Varensell begrüßen zu dürfen. Neben den anstehenden Verbandsinterna war Benedikt von Aniane der inhaltliche Schwerpunkt des Treffens.

P. Oliver hielt ein kurzes Referat „Benedikt von Aniane im Spiegel der Literatur“, Altabt Pius Engelbert, gab einen Zwischenbericht zu seinen Arbeiten für den wissenschaftlichen Begleittext für eine Faksimileausgabe des „Codex Regularum“, eines Hauptwerkes Benedikts von Aniane. Der Codex mit einer Sammlung von Klosterregeln liegt in der Staatsbibliothek München und soll im kommenden Jahr im Eos-Verlag erscheinen.

 

Benedikt von Aniane

Einleitend zu ihrem speziellen Referatsthema befassten sich beide Referenten mit Benedikt selbst. P. Oliver unterstrich u.a., dass die Zurückdrängung der vielen unterschiedlichen Klosterregeln zugunsten der Benediktsregel nicht erst mit Benedikt von Aniane beginnt, sondern bereits vor der Mitte des 8. Jahrhunderts, also gut 70 Jahre vor dem Aachener Wirken des Gründers von Kornelimünster. Ein Buchtitel einer englischen Übersetzung der Vita Benedikts „The Emperor’s Monk“ (1979) kann andeuten, welchen Einfluss der Gründerabt bei Ludwig dem Frommen gehabt hat.

Abt Pius bezeichnete Benedikt von Aniane als den bedeutendsten Mönch des Ordens nach Benedikt von Nursia. Neben seinen Bemühungen um die Klosterreform wird heute auch sein theologisches Wirken in der Christologie und Trinitätstheologie (Adoptianismus) und in Liturgiefragen neu gewürdigt. Die „alte, vorkonziliare“ Messliturgie verdankt ihm wesentliche Impulse.

Beide Referenten wiesen auf Parteiungen am kaiserlichen Hof hin. Nach dem Tod Benedikts von Aniane (821) trat mit Adalhard von Corbie ein Kontrahent des Gründerabtes von Kornelimünster wieder einflussreich in den Vordergrund. Benedikt und sein Gedächtnis wurden so weit aus der Überlieferung verbannt, dass er selbst in seiner eigenen Gründung Inda/Kornelimünster als „Größe“ nahezu nicht präsent blieb. Es kann als bezeichnend vermerkt werden, dass in der Kirche der alten Reichsabtei (bis heute!) weder eine Grabmemoria noch eine Gedenkstatue zu finden ist. Bezeichnend ist auch, dass selbst im Heiligenkalender des Ordens sein Todestag nur als „nicht gebotener Gedenktag“ – also gewissermaßen unter „ferner liefen“ - auftaucht.

 

Literarische Spuren …

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P. Oliver stellte einleitend fest, dass es keine mittelalterliche bildliche Darstellung des Heiligen gibt. Dieser negative Befund ist ein vielsagender Hinweis, wie sehr Benedikt in der konkreten Erinnerung "verdrängt" wurde. Das gilt so auch in seiner Gründung Kornelimünster.

Sein Werk „Concordia Regularum“ erscheint erstmals 1638 in Paris im Druck. Wenige Jahre später erwähnt der Affligemer Abt Benedikt von Haeften die Concordia Regularum in seinem Kommentar zu Regel und Vita Benedikts von Nursia. Auf dem Titelblatt ist aus der Zeit Benedikts von Aniane Kaiser Ludwig der Fromme – nicht Benedikt von Aniane! – dargestellt, … ein deutliches Zeichen der jeweiligen Ein- und Wertschätzung.

Es dauert bis 1865, dass der in Kornelimünster geborene Priester P. J. H. Nicolai eine allererste Monographie verfasst, die eher eine heimatgeschichtliche Reminiszenz als ein monastisches Interesse des Autors spiegelt. Im Rahmen einer nationalen Renaissance in Europa sind ein Aufsatz von Dr. Rudolf Foss in der Schulzeitschrift eines Berliner evangelischen (!) Gymnasiums und auf französischer Seite 1895 ein Vortrag bei einem Kongress in Montpellier, dem Bistum, zu dem Aniane gehört zu werten. Der dortige Bischof nahm an dem Vortrag teil, was auf die Bedeutung schließen lässt, die der Bischof dem Thema beimaß. Alle drei Arbeiten des 19. Jahrhunderts lassen erkennen, dass die „romantische Wiederentdeckung“ des Mittelalters und die Fragen einer Selbstvergewisserung des damaligen Heute Benedikt von Aniane als Antwortelement in den Blick nahmen. Dass der Westgote Benedikt von Aniane von Foss in seinem Vortrag als Germane hochstilisiert wird, lässt den antirömischen Affekt des Berliner Preußen ahnen und zugleich den Versuch, das am Horizont aufsteigende zweite Deutsche Reich im ersten der Karolinger einzuwurzeln. „Es ist eine sehr merkwürdige Erscheinung, dass unter den Karolingern die meisten Gelehrten und die bedeutendsten Geistlichen germanischer Abkunft sind und dass die romanische Rasse wie in Schlummer versunken erscheint“, so R. Foss.

Eine Dissertation von Josef Narberhaus (1930) versucht, das auch im Orden verbreitete negative Bild, dass der Gründer von Kornelimünster die urbenediktinischen Ideales verfälscht hat, zu korrigieren (Liturgismus, Aszetismus, Zentralismus …). Narberhaus stellt heraus, dass Benedikt ein positiver Reformers in seiner, der karolingischen Zeit war.

Im Benedikt-Jubiläumsjahr 1980 (1500 Jahre Geburt Benedikts von Nursia) stellte P. Emmanuel von Severus, Maria Laach, in einem Vortrag auf dem dritten Internationalen Regula Benedicti Kongress die innere Nähe des Regelautors und des Gründers von Kornelimünster heraus. Seine Titelfrage „Gleicher Name – gleicher Geist?“ beantwortete er mit einem Ausrufungszeichen. Ehrend nennt er den Kornelimünsteraner Gründer „Benedictus Secundus“. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich mancher Gespräche, in denen E. von Severus sagte: „Benedikt von Nursia hat die Regel geschrieben, Benedikt von Aniane den Orden gegründet.“ Das mag überspitzt formuliert sein, aber es zeigt die Hochachtung des Laacher Mönches für Benedikt von Aniane und die Entwicklung der positiven Beurteilung Benedikts.

Der zweite Referent des Tages, Altabt Pius Engelbert, ist ein ausgewiesener Fachmann des frühmittelalterlichen Mönchtums der Karolingerzeit. In einem Artikel der Studia Anselmiana, Rom 1990, „Benedikt von Aniane und die karolingische Reichsidee, Zur politischen Theologie des Frühittelalters“ wies er darauf hin, dass man Benedikt nicht auf das Bild eines Klosterreformers reduzieren dürfe. Walter Kettemann hat in einer Dissertation (2000) diesen Gedanken aufgegriffen und umfassend durchbuchstabiert. Kettemann hat zusammen mit P. Oliver vor kurzem (26.3.2014) in Kornelimünster einen Abend zu Benedikt von Aniane gestaltet. Er war jetzt auch Gast der Landesgruppe.

Zusammenfassend können P. Olivers Ausführungen dahin verstanden werden, dass das Bild Benedikts von Aniane immer auch von den geistigen Großströmungen und Vor-Urteilen (und auch den lokalen Bedürfnissen) der jeweiligen Zeit (mit-)geprägt ist. Das ist einerseits eine Selbstverständlichkeit, andererseits wird das wohl zu selten ins Bewusstsein gehoben. Das gilt sicher auch allgemein für unsere Zeit und noch einmal speziell für uns in Kornelimünster. Die Tatsache, dass es kein besonderes „Markzeichen“ des Gründers in seinem Kloster und seinem Ort gibt stellt auch uns Heutigen Fragen.

 

Der Codex Regularum und seine Faksimile-Edition

Der Codex Regularum ist eine Sammlung von Regeltexten, die Benedikt bekannt waren. Das Werk und das andere, die Concordia Regularum, sollten belegen, dass die Regel Benedikts von Nursia und die Reformideen des Benedikt von Aniane eine innere Kongruenz untereinander und mit der gesamten Tradition haben. Auf die Regelsammlung geht die Namensgebung der sog. „Regula Magistri“ zurück. Benedikt von Aniane nennt den anonymen Verfasser „Magister“. Eine digitalisierte Ausgabe des Gesamtcodex ist im Internet aufrufbar

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Abt Pius gab einen tiefen Einblick in seine Recherchen für den wissenschaftlichen Begleittext für die Faksimile-Ausgabe des Codex Regularum. Er vermittelte vor allem einen Eindruck in die nahezu „kriminalistische“ Arbeit, Faktenbruchstücke, Hinweise, Ungesagtes, Schönendes oder negativ Dargestelltes anzuschauen, zu sortieren und zu einem Gesamtbild zusammenzustellen. Dabei ist ein weites Umfeld um den unmittelbaren Forschungsgegenstand in den Blick zu nehmen und zu behalten.

Im Ergebnis fragt Abt Pius nach der „Bibliotheks-„ und nach der „Schriftheimat“ der Münchener Handschrift. Besitzernotizen in der Handschrift belegen, dass der Codex durch die Jahrhunderte hindurch der Abtei Sankt Maximin in Trier gehört hat. Sankt Maximin dürfte auch den Auftrag für die Handschrift gegeben haben. Der Vertraute und Freund Benedikts von Aniane, Abt Helisachar von Sankt Maximin, hat zu Lebzeiten Bendikts die Niederschrift des Codex veranlasst. Möglicherweise handelt es sich sogar um das Handexemplar für Benedikt.

Der Codex ist in sorgfältiger karolingischer Minuskel geschrieben, ohne eine „Luxushandschrift“ zu sein. Die Bayerische Staatsbibliothek nennt als Entstehungsort Kornelimünster. Abt Pius hält Kornelimünster selbst als Scriptorium für mehr als unwahrscheinlich. Das Kloster dürfte kaum die fachliche und personelle Kapazität für ein Skriptorium gehabt haben. Das kaiserliche Skriptorium dürfte mit Urkunden u.ä. ausgelastet gewesen sein. Die Schrift einer solchen Kanzlei zeigt auch durchwegs einen besonderen „Kanzleistil“. Werke wie das Schreiben eines Codex wurden – wenn verlangt - nach außerhalb gegeben. Ohne ein bestimmtes Skriptorium – geschweige denn einen bestimmten Schreiber - angeben zu können, schließt Abt Pius aus den Eigenarten der Schrift auf eine Heimat im nordfranzösischen bis Aachener Raum.

Abt Pius hat uns seinen Werkstattbericht leider nicht schriftlich zur Verfügung gestellt. So bleibt die Spannung auf die Veröffentlichung der Faksimileausgabe des Codex Regularum erhalten. Der einführende Recherchebericht wird sicher noch weitere Facetten und Details aufweisen, die in dem Vortrag nicht oder nur andeutend zur Sprache kamen.

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Dr. Kettemann - P. Oliver - Altabt Pius Engelbert

 

PS: Sowohl Walter Kettemann (Vortrag vom 26. März) als auch Abt Pius sprachen vom alten Kloster Kornelimünster unter dem Namen „Inden“. Diese Sprachregelung sei in der Wissenschaft Usus geworden. Der heutige Kornelimünsteraner weist darauf hin, dass eine Verwechselung mit dem Ort Inden, ca. 26 km von Kornelimünster entfernt, sehr nahe liegt und auch vorkommt. Die lateinische Wortform „Inda“ als Kurzform des „monasterium ad Indam – Kloster an der Inde“ ist sicher vorzuziehen.

Albert Altenähr
2014-05-12