Auf Fingerzeige achten
Berufung
In dem alten Pfingsthymnus aus dem 9. Jahrhundert, „Veni Creator Spiritus – Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein“ findet sich der Vers „ dextrae Dei tu digitus - du Finger Gottes, der uns führt“. Der Hymnus ist so bekannt, dass man ihn „im Schlaf“ singen kann und selbst das „Stolper-Bild“ vom Heiligen Geist als Finger Gottes verblüfft uns nicht sonderlich. Wir haben uns daran gewöhnt, … es steht da halt, … was soll’s? … singen wir es, … wir denken uns eh’ nichts dabei. Aber stolpern wir jetzt doch einmal und lassen uns aufstören: Der Heilige Geist ist der Zeigefinger Gottes. Oder in einem Wortdreher: er ist die Fingerzeige des Herrn (… bewusst im Plural formuliert).
Romfahrer – ob Pilger, Touristen oder Kunstkenner – strömen in Scharen in die Sixtinische Kapelle und – weniger zahlreich, aber immer noch in Menge – in die Kirche S. Luigi dei Francesi und bewundern Michelangelos großartige Darstellung der Erschaffung Adams bzw. Caravaggios Bild der Berufung des Apostels Matthäus. Die Finger Gottes und Adams auf dem Michelangelobild sind Postkarten-berühmt. Die Guides, die ihre Gruppen zu dem Bild Caravaggios führen, weisen darauf hin, dass der Künstler in der Fingerhaltung Jesu, der den Matthäus ruft, den berühmten Michelangelo zitiert. Die Besucher gucken, bewundern, fotografieren (… habe ich auch getan …) und eilen zum nächsten Höhepunkt ihres Rombesuchs.
Betrachten wir die Bilder und besonders die Fingerzeige etwas länger. Der Adam Michelangelos ein im Körperbau kraftstrotzender Beau, der nicht ganz wach ist und nicht weiß, wo er ist und wohin er mit sich hin soll. Träumend lasch liegt er da, … schaut er hin zu dem was ihm da entgegen- und widerfährt, … ein noch nicht zu Männlichkeit und Lebendigkeit Geweckter. Seine Berufung zum Leben, zu wachem Leben hat er noch nicht erkannt.
Ganz anders der Schöpfergott. Er ist nicht mehr der jüngste, aber „alt“ ist er nicht, … trotz des durch die Zahl der Jahre geprägten, nicht mehr knackig jungen Körpers, des markanten Gesichts, und der schlohweißen Haarpracht. Er ist in gewissem Sinn jünger und schöner als Adam, denn er ist da, … präsent, … dynamisch aktiv, … zielgerichtet geradeaus. Ihn tragen die Sturmengel seiner Lebenserfahrung und er hat etwas zu bieten: die Eva in seiner linken Armbeuge. Vielleicht ist es sogar erst sie, die den Adam lebendig werden lässt, und nicht schon der Fingerzeig des Schöpfers.
Auf jeden Fall wird in den Händen Adams und Gottes die Spannung beider Gestalten zueinander überaus deutlich.
Dem Bild Michelangelos stelle ich das Bild Caravaggios der „Berufung des Zöllners Levi / des Apostels Matthäus“ gegenüber.
Da sitzen fünf Männer um den Tisch und machen die Tagesabrechnung der Zollstelle. Sind es wirklich fünf Männer, oder ist es vielleicht doch nur der eine Levi, der in unterschiedlichen Lebensphasen oder –einstellungen auf fünf verschiedene Typen aufgeteilt wurde? Die super-kecke Jugend – gleich in zwei Personen dargestellt -, … der geld- und erfolgsorientierte junge Erwachsene, … der buchhalterische Fünfziger / Sechsziger, … der wohlbetuchte Firmen-Patron?
Ihnen gegenüber die beiden anderen, die gleichsam aus dem dunklen „off“ ein neues Licht in die scheinhelle Geschäftigkeit einbringen.
Im Vordergrund steht ein Apostel, im Hintergrund Jesus, kenntlich gemacht durch einen Heiligenschein. Beider Handhaltung ist ähnlich, … die des Apostels präziser, die Jesu lascher. Sind es Zitate des Fingerzeigs des Schöpfergottes, den Michelangelo gemalt hat? Mein Eindruck ist eher, dass die Handhaltung des Adam hier wiederholt wird, bei Jesus noch deutlicher als bei dem Apostel. Wollte Caravaggio seinen Jesus als „neuen Adam“ kennzeichnen? Ist der Fingerzeig des Apostels präziser, weil Jesus durch andere Menschen ruft, selbst aber – wenigstens in der nachösterlichen Zeit – im Hintergrund bleibt? Wollte er andeuten, dass Berufung durch Menschen, … die Apostel, die Künder danach, durch Menschen heute, vielleicht durch mich und dich geschieht?
Und dann die Haltung des alten, saturierten Zollpächters. Sie ist nicht schlaff - aber sich hingebend an den Schöpfer - wie bei Adam, sondern hellwach und verschreckt zurückweichend. „Doch nicht etwa ich?“
Sein Zeigefinger weist gestreckt straff-gerade auf ihn selbst, … oder vielleicht doch an ihm vorbei auf einen anderen, seinen Buchalter (wie ich ihn genannt habe)? „Nimm den, … nicht mich!“ Der aber ist ganz bei seiner Aufgabe, der Einnahmenkontrolle.
Adam und der Zöllner Levi-Matthäus. Zwei Weisen, auf den Ruf Gottes zu reagieren. Adam – eher passiv: wenn’s denn sein soll …, es ist doch so viel bequemer, weiter zu schlafen. Der Zöllner: um Himmels willen …, nur das nicht …, und jetzt schon gar nicht, … das bringt ja alles, was ich erreicht habe und weiter plane, durcheinander.
Wir wissen, wie es in der Bibel weiter geht. Adam und der Zöllner ergreifen dann doch ihre Chancen. Adam wird lebendig, der Zöllner lädt Jesus zu Tisch, nicht an den Groschenzähltisch, sondern an den eines Festmahls. Ihr Zögern und Zurückschrecken, … ja, es war da, aber es war nicht ihre letzte Antwort. Sie folgten dem Ruf und seiner Verheißung.
Albert Altenähr OSB
2011-02-13