Gebet am Rande …
Ich weiß nicht, wann ich das Gedicht „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“ der Schweizer Benediktinerin Silja Walter kennengelernt habe. Ich weiß, dass ich es immer geliebt habe und mich selbst und mein Kloster darin wiedererkenne.
Wir sind ein Kloster am Rande unserer Stadt. Wir liegen zwar nicht unmittelbar an einer der Haupteinfallstraßen in die Stadt, aber den Berufsverkehr bekommen wir doch mit. Von wo aus man auch auf unseren Stadtrandbezirk zufährt, irgendwann taucht für einen kurzen Moment dem Autofahrer die mächtige Silhouette des Turms unserer Abteikirche auf. Und immer wieder dringt auch einmal die Frage an uns heran: was tut ihr eigentlich? Nicht selten habe ich mit diesem Gedicht geantwortet.
Bei einem unserer ersten „Tag der Freunde“ habe ich den früh verstorbenen Aachener Weihbischof August Peters gebeten, uns und den Freunden ein Referat über die Erwartungen des Bistums an unser Kloster zu halten. Er hat das getan und am Ende seines Referates, - gleichsam als Summe seiner Gedanken - hat er das Gedicht von Silja Walter in seiner ganzen Länge vorgetragen. Es freut und wundert mich noch heute, dass der Bistumspriester und Bischof keinen pastoralen Einsatzkatalog für Mönche entworfen hat, sondern das gedichtete Selbstverständnis einer Benediktinerin als Erwartung des Bistums an die Mönche formulierte. Meine innere Reaktion sagte: In solcher diözesanen Erwartungsatmosphäre kann ich atmen.
Beim Einkehrwochenende im September 2002 für unsere Oblaten habe ich ihnen das Gedicht mit auf den Heimweg gegeben. Es passte in den inhaltlichen Rahmen des Wochenendes, aber wir haben es nicht besprochen. Es war „einfach nur so“ Weg-Mitgabe. Zwei Tage später erhielt ich das Gedicht in einer neuen Fassung zurück: es war aus dem Kloster und seiner Welt hinüber-übersetzt worden in die Welt, in der unsere Oblaten-Freunde leben. Das „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“ war zum „Gebet in der Stadt am Rande des Klosters“ geworden. Meine innere Reaktion sagte: Hier wird nichts nachgebetet; hier wurde etwas nach – gedacht; hier ist etwas verstanden.
Albert Altenähr OSB
2002-09-20
Gebet des Klosters am Rande der Stadt
Jemand muß zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muß dich erwarten,
oben auf dem Berg
vor der Stadt.
Jemand muß nach dir Ausschau halten
Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst?
Jemand muß wachen
unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht
wie ein Dieb.
Wachen ist unser Dienst,
wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist so leichtsinnig,
läuft draußen herum
und nachts ist sie auch nicht
zuhause.
Denkt sie daran,
daß du kommst?
Daß du ihr Herr bist
und sicher kommst?
Herr,
durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, täten wir sonst?
Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da -
draußen
am Rande der Stadt.
Herr,
jemand muß dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod mitaushalten
und daraus leben.
Das muß immer jemand tun
mit allen anderen.
Und für sie.
Und jemand muß singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar wie keiner.
Silja Walter
Gebet in der Stadt am Rande des Kloster
Jemand muss auf der Hut sein, wenn du kommst,
jemand muss mit dir rechnen inmitten der Stadt.
Jemand muss nach dir Ausschau halten
zwischen Akten und Konferenzen.
Wer weiß denn schon, wo du auftauchst?
Jemand muss wachen auf den Fluren dieser Welt.
Jemand muss dein Ebenbild erkennen in den Kollegen,
die nichts von dir wissen wollen
und sie spüren lassen, dass du da bist.
Jemand muss doch in der Kantine daran denken,
dass du es bist, der uns am Leben erhält.
Hoffen ist unser Dienst,
hoffen für viele.
Herr, durch unseren Alltag kommst du in die Welt,
durch unsere Herzen zu denen,
die ohne Hoffnung leben und es nicht einmal wissen.
Jemand muss doch für die beten,
die Glaubende für weltfremde Spinner halten,
und eine Kerze der Hoffnung entzünden,
wenn es nichts mehr zu sagen gibt.
Zu glauben und zu bleiben sind wir da,
festzuhalten an unserem Wort,
wenn sich andere alle Türen offen halten, -
alles auf ein Karte zu setzen
im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, -
unseren Kindern Mut zu machen zum Glauben,
wenn andere alles wissen und kaufen.
Herr, jemand muss deine Ferne aushalten,
ohne an deinem Kommen zu zweifeln, -
dein Schweigen aushalten und doch von dir sprechen, -
an dir festhalten im Dialog der Religionen, -
mit anderen und für andere aus dir heraus leben
und vor allem – dankbar sein.