Vertrauen, dieses schwerste ABC
Lange wurdest du um die türelosen
Mauern der Stadt gejagt.Du fliehst und streust
die verwirrten Namen der Dinge
hinter dich.Vertrauen, dieses schwerste
ABC.Ich mache ein kleines Zeichen
in die Luft,
unsichtbar,
wo die neue Stadt beginnt,
Jerusalem,
die goldene,
aus Nichts.(Hilde Domin: Lieder zur Ermutigung II)
Ich weiß: Hilde Domin hat in den ersten beiden Strophen ihres Gedichtes die Heldenkämpfe der alten Griechen um Troja vor Augen. Achilleus jagt den Troja-Prinzen Hektor um seine Stadt. Der lässt seine Rüstung Stück für Stück fallen, um den schnellen Lauf noch schneller laufen zu können. Alle Schlupftüren nach Troja hinein halten die verängstigten Bewohner verschlossen, um nicht mit dem Prinzen auch den Feind in die Stadt gelangen zu lassen.
Ich weiß: Hilde Domin war vom Goldglanz römischer Mosaiken fasziniert. Ich weiß: sie greift den biblischen und in ihrem jüdischen Volk stets lebendigen Traum des neuen und goldenen Jerusalem auf.
Ich weiß das, … lasse es in mich hinein versinken, vergessen … und denke an „den Menschen heute“ – den gehetzten, gejagten, gestressten, der rennt und wuselt, aber für sein Leben kein Zuhause findet und dem die Leere immer größer wird.
„Vertrauen, dieses schwerste ABC.“ Ich spüre die Sehnsucht nach Geborgenheit, - nicht nur kurzfristiger - so schön sie ist -, sondern nach bleibendem Halt, den tief Glaubende bekennen und – wenn es gut geht – wohl auch ausstrahlen.
Die Dichterin erzählt sehr persönlich von einem kleinen Zeichen, - in die Luft, - unsichtbar. Was mag das für ein Zeichen sein? Die Frage wird nicht beantwortet. Dieses (ich will es einmal Lateinisch sagen) „signum“ ist zugleich Signal des Aufbruchs und Signatur ernsthafter Sehnsucht und wirklicher Suche.
Mir selbst ist das kleine Kreuzzeichen auf den Mund, das wir Mönche zu Beginn unserer ersten Gebetszeit des Tages machen so ein Aufbruchzeichen in einen Tag des Suchens nach dem Ur-Grund des Vertrauens. Es ist ein Aufschließen meiner selbst für den Beginn der neuen Stadt, die ich in vielen Kleinigkeiten, in Bagatellen von goldenem Nichts zu entdecken hoffe.
Ein wenig stört mich aber doch in den Gedichtgedanken, dass „ich etwas mache“. Gewiss, es geht nicht ohne mein (Mit-)Machen. Das ist aber nur die eine Seite. Oft ist es ganz anders. Ich m a c h e nicht etwas, sondern mir g e s c h i e h t etwas. Etwas macht etwas mit mir. Auch das, - ja, gerade das können Nuggets der neuen Stadt, der goldenen aus Nichts sein. Da beginnt das goldene Jerusalem, wo ich etwas mit mir machen lasse, - ich mich auf etwas einlasse, - ich etwas an mich heranlasse.
Und ich frage mich, ob ich als Glaubender nicht selbst in die Verantwortung gerufen bin, wenigstens ein klitzekleines Goldkorn aus dem Schatzhaus des neuen Jerusalem zu sein, - ein Goldkorn, das anderen etwas aufleuchten lässt und so etwas mit ihnen macht. Das ist die Lust und gleichzeitig die Last des Glaubens. Ich darf nicht alles allein von anderen erwarten, sondern muss selbst ein Schenkender sein.
Die Tore des neuen Jerusalem aus Gold stehen offen bei Tag und Nacht (Offbg 21,25). Sie sind eine Einladung einzutreten und den (Erfahrungs-) Schatz der Stadt anzuschauen. Vielleicht öffnet ein solcher Besuch die Augen für Verschüttetes, Wertvolles im eigenen Leben. Lasse ich mich darauf ein? Bin ich selbst bereit, anderen so etwas zu schenken?
So könnte die Chance meines Christseins aussehen. Das könnte die Chance eines Klosters sein, - die Chance der Kirche: ein offenes Christsein, - ein offenes Kloster, - eine offene Kirche.
Albert Altenähr OSB
2009-06-19